1. Untersuchungen im Gebiete der optischen Eigen-
schaften isomorpher Krystalle.
Von
Georg Wulff in Warschau.
(Hierzu Taf. I—V und 7 Textfiguren.)
I.
Von der Bedentnng der Yolamverliältnisse in den optischen
Eigenschaften der isomorphen Mischungen.
Zweck und Wesen der Untersuchung. J. W. Retgers kam in
seinen klassischen Untersuchungen über das specifische Gewicht der iso-
morphen Mischkrystalle
1)
zum folgenden wichtigen Schlüsse:
»Bei isomorphen Mischungen herrscht eine Proportionalität
zwischen specifischem Gewicht (resp. specifischem Volum) und
chemischer Zusammensetzung.«
Für dieses Gesetz giebt Retgers folgende mathematische Ausdrücke:
, Wo — Oll
und = +
In demselben sind d und w das specifische Gewicht bezw. das speci-
fische Volum = -^j der Mischkrystalle, und d.2 die specifischen Ge-
wichte, Wj und (0-2 die specifischen Volume der Componenten, welche in
der Zusammensetzung der Mischkrystalle sich entweder mit den Volum-
mengen (100 —
V.2)
und V-,, oder mit den Gewichtsmengen (-100 — m-i) und
1) Zeitsehl-, f. phys. Chemie 1889, 3, «97—5G1; 1889, 4, 593—630; 1890, 6,436
—466; 1890, 6, 193—236. N. Jahrb. f. Miner. etc. 1891, 2, 132—160 und 27G—278;
Ref. die.se Zeitsolir. 19, 623, 62"., 627; 23, 310.
Groth, ZeitBChrift f. Krystallogr. XXXVl. 1
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2 Georg Wulff.
m-i betheiligen. Somit kann die Zusammensetzung entweder in Volumpro-
centen und specifischen Gewichten oder in specifischen Volumen und Ge-
wichtsprocenten zum Ausdruck gebracht werden.
Die oben angeführten Ausdrücke erhalten eine weit übersichtlichere
Form, wenn wir
in die erste Formel 100 = Wj -f-
und in die zweite Formel 100 = +
einsetzen. Wir erhalten dann:
(wzi + »w2)w = TWiWi
m.;,i02,
(1)
(®1 + = «-l«^! + • (2)
Die Formel (2) sagt nichts Anderes aus, als dass die Masse der Mischung
{'t\ +
v-,)
ö gleich der Summe der Massen der sich mischenden Componenten
ist, was selbstverständlich ist. Die Formel (1) aber charakterisirt die eigen-
thümliche Natur der isomorphen Mischung, indem sie betont, dass das
Volum der Mischung der Summe der Volume der sich mischen-
den Componenten gleich ist. Daraus folgt ohne weiteres, dass die
isomorphe Mischung eine rein mechanische ist. Diese wichtige
Schlussfolgerung wurde von Retgers erst später gewürdigt, als er an
A. Arzruni für dessen »Physikalische Chemie der Krystalle«eine brief-
liche Mittheilung richtete, deren Inhalt als wahres Schlussresultat der ganzen
Untersuchungsreihe von Retgers angesehen werden muss, die aber in dem
oben erwähnten Werke Arzruni's nur in den »Nachträgen«' einen Platz
finden sollte. Ich halte es deshalb für sehr wichtig, diese Mittheilung hier
in extenso wiederzugeben.
»Dass ich die Proportionalität in specifischem Volum und Gewichts-
procenten ausgedrückt habe, anstatt in specifischem Gewicht und Volum-
procenten, thut mir jetzt noch leid. Ich verwendete den Begriff spec. Vol.
=
1
/spec. Gew. in meiner Dissertation, weil die Contraction der chemischen
Verbindungen sich hierdurch einfacher und anschaulicher herstellen Hess,
als durch das spec. Gewicht, welches eine complicirtere Formel giebt. Für
isomorphe Mischungen, bei welchen keine Contraction stattfindet, ver-
schwindet jedoch dieser Vortheil vollkommen. Der Ausdruck der Propor-
tionalität in spec. Gewichten und Volumprocenten ist deshalb geeigneter,
weil »spec. Gewicht« ein viel geläufigerer Begriff ist, als »spec. Volum«, zu-
mal letzterer oft im Sinne »Molekularvolum« benutzt wird.
»Ferner finde ich es angezeigt und theoretisch viel richtiger, alle phy-
sikalischen Eigenschaften (auch die optischen) auf Volumprocente zu
beziehen. Gewichtsprocente sind an sich ausgeschlossen, weil sie complicirte
Formeln geben; Molekularprocente geben zwar annähernd die Wahrheit,
nicht aber die theoretische Richtigkeit, z. B. eine sehr schwach gebogene
1) S. 334—335.
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Untersuchungen im Gebiete der optischen Eigenschaften isomorpher Krystalle. 3
Gurve statt einer Geraden. Bei isomorphen Mischungen denkt man sich
auch nicht zwei Molekel neben einander, sondern zwei kleine Volume —
und diese beiden Begriffe sind nicht identisch. Nur durch die Gegenüber-
stellung der betreffenden physikalischen Eigenschaft und der chemischen
Zusammensetzung in Volumprocenten gelangt man zu einem einfachen und
tnathematisch richtigen Ausdruck. Leider ist es durchweg üblich, sich der"*
Molekularprocente zu bedienen. Da die isomorphen Körper sehr wenig
abweichende Molekularvolume besitzen, fällt der Fehler, der oft noch inner-
halb der Beobachtungsfehlergrenze liegt, nicht so sehr in's Auge. Theoretisch
ist es jedoch vollkommen unrichtig, ebenso bei den Brechungsindices u. s. w
wie beim specifischen Gewicht.
»Ich habe mich in meiner französisch geschriebenen Arbeit (Ann. Ecole
polyt. de Delft 1890, 5, 189, Anm. 1) hierüber ausgelassen.«
Die in diesem Kapitel darzulegende Untersuchung wurde unternommen,
noch ehe ich den oben citirten Nachtrag zu dem Arzruni'sehen Buche
kennen gelernt hatte, und kann jetzt als eine Bestätigung der in demselben
geäusserten Ideen im Gebiete der optischen Eigenschaften der isomorphen
Mischungen betrachtet werden. Nachdem ich die Arbeiten von Retgers
gelesen hatte, schienen mir alle bis jetzt vorgeschlagenen Gesetze, in wel-
chen manche oft sehr einfache Beziehungen zwischen den physikalischen
Constanten der sich mischenden Krystalle und der »chemischen Zusammen-
setzung« der Mischung zum .\usdrucke kamen, als verdächtig, falls sie die
specifischen Gewichte der sich mischenden Substanzen nicht in Betracht
zogen. Um diese Idee zu bestätigen, wandte ich meine Aufmerksamkeit
auf die optischen Eigenschaften der Mischkrystalle.
Aus den hierüber existirenden Arbeiten muss man in erster Linie die
Inauguraldissertation von Hrn. Lavenir') nennen, welche unter der Leitung
von Hrn. Dufet ausgeführt worden war. In dieser Arbeit untersucht Hr.
Lavenir die beiden Seignettesalze
KNaCiH^OiAH.O und
und deren Mischkrystalle und bestimmt deren Brechungsindices nach der
Methode von Hrn. Pulfrich. Er kommt zu dem Schlüsse, dass die Haupt-
brechungsindices dieser rhombischen Mischkrystalle n^;, Uy und n^ nach
den Symmetrieaxen abgeleitet werden von den entsprechenden Indices der
Componenten w,.', tiy und nJ bezw. riy und nJ' vermittelst folgender
Formeln:
1) M. A. Lavenir, These: Sur la Variation des propri^t^s optiques dans les
m6langes de sels isomorphes, Paris
1
894 i'Bull. d. 1. soc. franf. d. min. 1894, 17, 153).
Ref. diese Zeitschr. 26, 822.
1»
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4 Georg Wulff.
n^ = k'nj +
ny = k'fly' + k"ny", (3)
% = +
k' 4- F = 1,
d. h. die Untersuchung von Hrn. Lavenir bestätigt, und zwar sehr genau,
die zweite Theorie von Mallard, welche dieser Forscher in seinem
Trait6 de Cristallographie Bd. 2 entwickelt hat. Die Genauigkeit der Methode
von Lavenir liegt wesentlich darin, dass er die Richtigkeit der For-
meln (3) experimentell nachgewiesen hat, unabhängig davon, welcher
Grösse die Coefficienten k proportional sind, ob Massen oder Volume der
sich mischenden Substanzen. Darin liegt die originellste und wichtigste
Bedeutung dieser Arbeit. Erst im letzten Kapitel derselben macht Herr
Lavenir einen Versuch zu beweisen, dass die Bruchtheile der Molekel
jeder Gomponente darstelle, welche in die Molekel der isomorphen Mischung
eintritt«.
Nun sind für die Bestätigung dieses Satzes solche Methoden nüthig,
wie die der chemischen Analyse, welche unvergleichlich weniger genau sind,
als die Bestimmung der Brechungsindices. Und wenn man noch in Erwä-
gung zieht, dass wir es mit solchen Substanzen zu thun haben, welche der
Grösse der Molekel und dem specifischen Gewichte nach fast gleich sind,
so sind wir vollkommen berechtigt zu behaupten, dass die Untersuchung
von Lavenir die Frage über die Bedeutung der Coefficienten A; vollständig
offen lässt.
Um diese Frage möglichst genau zu untersuchen, muss man solche
zwei vollkommen isomorphe Substanzen wählen, welche einen Grössenunter-
schied zwischen den hier in Betracht kommenden Constanten zeigen. Ich
habe deshalb meine Aufmerksamkeit auf folgende zwei Salze gerichtet:
[NHi)iMg(SOi)i. GH-iO und Cs^MglSOi)^. G/fjO.
Der Unterschied zwischen diesen Substanzen lässt der Grösse nach
nichts zu wünschen übrig, was die folgende Uebersichtstabelle bestätigt.
Molekular- Specifisches Molekular-
Substanz: . ., ^ • . . ,
gewicht: Gewicht: volum:
{NHi)2Mg{S0i)2.m20 468,8 1,721 272,5
Gs2Mg{S0i).i.&H;0 698,5 2,672 261,4
Zu Gunsten der Wahl dieser Substanzen spricht noch die ausserge-
wöhnliche Krystallisationsfähigkeit derselben.
Ein so grosser Unterschied zwischen den Constanten, welche für die
Entscheidung über die Natur des Coefficienten k dienen sollen, erlaubte mir
für meinen Zweck eine Function der optischen Constanten zu wählen, welche
sich viel leichter messen lässt, als ein Brechungsindex.
Eine solche Function ist der Auslöschungswinkel. Es wird weiterhin
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Untersuchungen im Gebiete der optisclien Eigenschatten isomorpher Krystaile. 5
gezeigt, dass die Messung desselben eine dazu hinreichende Genauigkeit ge-
stattet. Die beiden gewählten Salze sind auch in dieser Beziehung ungemein
günstig, da die Differenz der analogen Auslüschungsrichtungen auf den immer
an den Krystallen dieser Substanzen entwickelten Flächen der Form (410}
den grossen Betrag von 55® 44' hat.
Der Gang meiner Untersuchung bestand daher im Folgenden: Es wur-
den möglichst genau die Auslüschungsrichtungen auf (110) in Bezug auf die
Kante [001] an den Krystallen der reinen Salze {NHi)2Mg{S0i].i.f^H^0 und
Gs-iMg{S0i\2.^H20 und deren Mischkrystallen gemessen, die Zusammensetzung
der letzteren bestimmt und die so erhaltenen Resultate in Gestalt einer Curve
wiedergegeben. Die so erhaltene Curve wurde dann mit zwei theoretisch
berechneten Curven verglichen: bei einer wurde k proportional der Masse,
bei der zweiten proportional dem Volum der gemischten Substanzen gesetzt.
Der Vergleich der beobachteten Grössen mit den theoretischen sprach ent-
schieden zu Gunsten der letzteren Voraussetzung.
Theoretische Betrachtungen. Die Formeln von E. Mallard.
Nach Mailard's Berechnung'), welche experimentell durch die oben citirte
Untersuchung Lavenir's bestätigt worden ist, hat die Schnittcurve der
Oberfläche, welche in einem isomorphen Mischkrystalle die Brechungsindices
darstellt, in einer aus diesem Krystaile geschnittenen Platte die Gleichung
Q = n' cos^ ^ + n" sin2
it.
(4)
Diese Gleichung ist auf die beiden Hauptschnitte der Platte als Coor-
dinatenaxen bezogen und n und n" sind die beiden Brechungsindices der Platte.
Setzen wir cos^ u = ^(1 + cos 2«) und sin^
/.i
= ^ (1 — cos
so erhalten wir
Q = .i-(rt' 4- n") + -\(>i' - n") cos 2.«. (5)
Es sei OR die Richtung einer in
Flg. 1.
der Ebene der Platte sich belindenden
Kante, Q^ der Radiusvector des Ovals
(4) in der Platte nach der Richtung
OQ, deren Axe »t/ den Winkel mit
der Richtung OB macht, so gilt die
Gleichung
=
\{n-:
+
n:')
-h
+-HV- <) cos 2 («-,«,•). (6)
Wenn die Platte aus mehreren gemischten Substanzen gebildet ist, für
welche, einzeln genommen, dieselbe Gleichung (6) besteht und wenn jede
Substanz in den Mengen A;,- genommen ist, so erhalten wir für den Werth
des resultirenden Radiusvector Q nach der Richtung Oq den Ausdruck:
I) Traitö de Crystallographie, 2, 269.
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