Abstract: Eine zentrale Aufgabe in der Mensch-Maschine-Interaktion ist die Durchfuhrung von Nutzerstudien. Diese ermoglichen einen tieferen Einblick in das Verhalten von Nutzern, dienen aber auch dazu, Labels zum Annotieren von Daten zu sammeln. Die traditionelle Methode zum Erfassen von subjektivem Feedback ist die Experience Sampling Method (ESM). Durch das Beantworten von Fragebogen stellen Probanden nicht nur Informationen uber sich selbst, sondern auch uber ihre Umgebung zur Verfugung. Auserdem konnen ihre Antworten als Label fur Daten, welche zeitgleich erhoben wurden, dienen. Inzwischen sind Smartphones zur Hauptplattform zum Durchfuhren von ESM Studien geworden. Sie werden genutzt, um ESM-Abfragen in Form von Benachrichtigungen auszusenden, um die gesammelten Labels zu speichern und um sie den Sensordaten zuzuweisen, welche im Hintergrund gesammelt wurden.
In ESM-Studien wird angestrebt, moglichst viele und qualitativ hochwertige Daten zu sammeln. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es einer grosen Menge sorgfaltig beantworteter ESM-Abfragen. Die Probanden wiederum wollen in der Regel so wenig Abfragen wie moglich erhalten. Es ist notwendig, einen Kompromiss zwischen Abfragehaufigkeit und Probandenzufriedenheit zu finden.
Beim Erstellen von ESM-Studien ergeben sich verschiedene Herausforderungen. Einerseits sind diese mit der ESM-App und deren Funktionalitat verbunden. Andererseits stehen sie aber auch mit dem Ausliefern von ESM-Abfragen und deren Wahrnehmung durch den Nutzer im Zusammenhang.
ESM-Abfragen mussen in Situationen ausgesandt werden, welche fur den Studiendesigner von Interesse sind. Dies bedarf eines akkuraten Erkennungssystems, welches in die ESM-App eingebunden werden muss. Sowohl die Anzahl und Haufigkeit der Abfragen als auch die Lange des Feedback-Fragebogens sollten auf ein Minimum reduziert werden. Beides sind Herausforderungen, welche die ESM-App, welche zur Durchfuhrung der Studie genutzt wird, adressieren muss.
Um das Erstellen von ESM-Anwendungen zu erleichtern, ist es empfehlenswert, auf ein primares Entwicklungswerkzeug zuruckzugreifen. Im besten Fall ist solch ein Werkzeug einfach zu nutzen und bietet Zugriff auf eine weitreichende Menge an Sensoren, aus denen kontextuelle Informationen abgeleitet werden konnen - beispielsweise, um ereignisbasiert Abfragen auszusenden. Im Rahmen dieser Dissertation stellen wir ESMAC vor, den ESM App Configurator. ESMAC stellt verschiedene Abfragetypen zur Verfugen, ebenso wie verschiedene Einstellungen, um die Anzahl an Abfragen pro Tag zu begrenzen (inquiry limit) oder um ein abfragefreies Zeitfenster zwischen zwei aufeinanderfolgenden Abfragen zu definieren (inter-notification time). Zudem bietet es Zugriff auf eine Vielzahl an Sensormesswerten und -Informationen.Diese Werte werden automatisch erfasst und benotigen keine Abfrage vom Nutzer, was zu einer reduzierten Fragebogenlange fuhren kann. Um Informationen in Situationen zu sammeln, welche fur den Studiendesigner von Interesse sind, bietet ESMAC eine Auswahl an ereignisbasierten Abfragen.
Ereignisbasierte Abfragen fanden bereits in diversen ESM-Studien Anwendung. Dennoch wurde ihre Nutzlichkeit bisher nicht explizit untersucht. Zwei Faktoren, welche fur verschiedene Forschungsbereiche relevant sind, sind Ortswechsel und Aktivitatsanderungen des Nutzers. Diese konnen beispielsweise fur die Erkennung der Unterbrechbarkeit eines Nutzers genutzt werden oder zum Uberwachen von Zustandsanderungen bei Patienten, welche unter affektiven Storungen leiden. Am Beispiel einer Studie, welche auf die Erfassung dieser beiden Faktoren ausgerichtet ist, zeigen wir, dass ereignisbasierte Abfragen nutzlich sind, vor allem wenn die ausgewahlten ereignisbasierten Abfragen (hier: Ortswechsel) im Zusammenhang mit den zu erfassenden Daten stehen (hier: Feedback uber die Mobilitat und Aktivitat des Nutzers).
Die Erfassung von Datenlabels bedarf nicht nur ereignisbasierter Abfragen, sondern auch zeitnaher Antworten von den Probanden, um die Labels moglichst akkurat den gesammelten Daten zuweisen zu konnen. Hierzu ist es notwendig, dass die Probanden die eingehenden Abfragen rechtzeitig bemerken. Abfragen werden unter Umstanden nicht wahrgenommen, weil eine zu unauffallige Benachrichtigungsmodalitat gewahlt wurde oder weil die ESM-Abfragen in einem uberfullten Notification Drawer des Smartphones untergehen.
Die Wahrnehmbarkeit von Benachrichtigungen wird durch verschiedene kontextuelle Faktoren beeinflusst, z.B. die Position des Smartphones, den aktuellen Ort oder die (soziale) Aktivitat des Nutzers. Aber auch inhaltliche Eigenschaften wie die empfundene Wichtigkeit einer Benachrichtigung konnen einen Einfluss haben. Als Grundlage fur spatere Forschung untersuchen wir Methoden, um diese Einflussfaktoren zu erfassen. Zuerst stellen wir eine Methode zur Position-Transition-Korrektur vor, welche die Erkennung der aktuellen Smartphone-Position verbessert. Diese Methode basiert auf der Annahme, dass jeder Wechsel von einer Position zur nachsten uber das Halten des Gerats in der Hand erfolgt. Als nachstes untersuchen wir verschiedene Methoden zur Ortserfassung, unter Achtung der Privatsphare des Benutzers. Wir stellen vor, wie WLAN-Informationen und Ortstypen genutzt werden konnen, um den Aufenthaltsort eines Nutzers zu beschreiben und Ortswechsel zu erkennen, ohne den exakten Standort abzuspeichern. Basierend auf dem Ortstypen prasentieren wir eine Methode, um abzuschatzen, ob ein Smartphone-Nutzer in Begleitung ist. Abschliesend untersuchen wir noch Smartphone-Features, welche mit der empfundenen Wichtigkeit einer Benachrichtigung in Zusammenhang stehen konnten.
Nachdem wir Methoden zum Erfassen von Einflussfaktoren untersucht haben, betrachten wir Zusammenhange zwischen der Wahrnehmung von eingehenden Benachrichtigungen und verschiedenen Benachrichtigungsmodalitaten. Diese Betrachtung erfolgt unter Berucksichtigung (a) der aktuellen Position des Smartphones und (b) des aktuellen Ortes des Smartphone-Nutzers und moglicher ortsbasierter Aktivitaten. Wir stellen eine Studie vor, welche Aufschluss daruber gibt, wie angenehm und wahrnehmbar verschiedene Benachrichtigungsmodalitaten sind - abhangig davon, wo das Smartphone vom Nutzer aufbewahrt wird. Fur den aktuellen Ort und ortsbezogene Aktivitaten stellen wir passende Benachrichtigungsmodalitaten vor, uber welche wir im Rahmen einer Onlineumfrage und einer Laborstudie Ruckmeldung erhalten haben.
Abschliesend erstellen und evaluieren wir verschiedene Designs, um wichtige Benachrichtigungen - welche ESM-Abfragen einschliesen - hervorzuheben, indem ihre Sichtbarkeit im Notification Drawer erhoht wird. Diese Designs basieren auf Feedback von Interviewprobanden als auch auf Erkenntnissen aus der Literatur. Wir stellen Eigenschaften von Benachrichtigungsdesigns vor, welche von Probanden einer Onlineumfrage als angenehm und nutzlich empfunden wurden. Zudem empfehlen wir auch Kombinationen verschiedener Designeigenschaften.
Die Beitrage dieser Dissertation konnen wie folgt zusammengefasst werden:
- Vorstellung eines Tools, um kontextsensitive ESM-Apps zu erstellen
- Bestatigung der Relevanz von ereignisbasierten Abfragen am Beispiel einer ESM-Studie mit Fokus auf Ortswechsel und Aktivitatsanderungen
- Vorstellung eines Position-Transition-Korrekturmechanismus zum Verbessern der Erkennung der Smartphone-Position
- Vorstellung zweier Methoden zur Ortserfassung ohne konkrete Offenlegung und Speicherung des konkreten Aufenthaltsortes
- Vorstellung einer ortsbasierten Methode zum Abschatzen, ob sich ein Smartphone-Nutzer in Begleitung befindet oder nicht
- Vorstellen von vier Typen von Wichtigkeit und von Smartphone-Features, welche mit der empfundenen Wichtigkeit von Benachrichtigungen in Zusammenhang stehen
- Empfehlungen fur die Auswahl von Benachrichtigungsmodalitaten abhangig von der (a) Smartphone-Position als auch (b) des aktuellen Ortes und moglicher ortsbasierter Aktivitaten
- Empfehlungen fur Designanpassungen von Smartphone-Benachrichtigungen, um solche von hoherer Wichtigkeit hervorzuheben